Tango, Patagonien und Pinguine

Ich heiße Orville und bin ein Albatros.

Majestätisch segle ich durch die Lüfte und durchkreuze die Meere. Ich kenne keine Grenzen. Ich bin Südamerika genauso zu Hause wie in Australien. Manchmal bin ich auf den Galapagosinseln oder begleite schwimmende Eisenfische (die ich übrigens sehr komisch finde) in Antarktischen Gewässern. So geschehen vor einigen Tagen.

Mit meiner Großgroßnichte väterlicherseits verbindet mich seit langem eine enge Brieftaubenfreundschaft. Sie lebt in Europa und nennt sich Veronika, die Rauchschwalbe. In den letzten Jahren wohnte Veronika in einem selbstgebauten Nest an einem Steinhaus, welches sich Am Storchennest heißt (das müsste ja eigentlich Am Schwalbennest heißen). Jedenfalls hört sie dort oft die seltsamsten Geschichten. In einem anderen Nest dort, man nennt es Büro, leben seltsame Zweibeiner. Sie nennen sich Reiseprofis, Schumänner oder sogar Berufsurlauber. Und der Anführer, ein dicklicher, kleiner Grauer, schwadronierte mit seinen Kumpanen über einen Plan. Er wolle, mit möglichst vielen anderen Vierbeinern im Gepäck, sich aufmachen den Antarktischen Ozean zu bereisen – quasi in mein bevorzugtes Jagdgebiet eindringen. Veronika berichtete mir sofort davon. Doch nichts geschah – eine Brutsaison nach der anderen – doch der angekündigte Berufsurlauber kam nicht. Überall auf der Welt hatte sich stattdessen ein kleines fieses Virus ausgebreitet, viele Monate hockten die Zweibeiner daheim, als hätte man ihnen die Flügel gestutzt – unvorstellbar für mich als Albatros.

Doch dann, es war der erste Freitag der neuen Saison, oder des Jahres 2022 wie die Zweibeiner sagen, landete wieder so ein riesiger Eisenvogel am Landeplatz am Rio de la Plata. Hunderte Zweibeiner spie dieser Vogel aus. Und darunter, ich erkannte ihn sofort wieder, der Berufsurlauber, der graue, kleine nicht mehr ganz so Dicke. So wie mir meine Großgroßnichte väterlicherseits angekündigt hatte. Und so wie ich ihn schon mal gesehen hatte auf meiner Brutinsel im Galapagos Archipel. Schon damals konnte ich ihn und sein Gefolge beobachten. Er hat es also doch wahrgemacht – kommt mit 16 Zweibeinern an den Rio de la Plata. Sein Plan, das wusste ich ebenfalls bereits, der Besuch der Antarktischen Inseln, Gewässer und sogar des Festlandes. Was die da wollen? Das frage ich mich auch. Ich bin da immer nur auf Futtersuche unterwegs, da gibt es bei weitem die fettesten Tintenfische und die saubersten Meere – noch! Aber was wollen Zweibeiner dort? Sturm, Schnee und eisige Kälte. Hoffentlich machen die nichts kaputt, verschmutzen das Meer oder ärgern die Pinguine. Zweibeiner früherer Generationen, als mein Großvater noch über die Meere segelte, haben ganze Walfamilien ausgerottet und tausende Robben erschlagen, Pinguine gejagt und tonnenweise Fisch aus dem Meer gezogen. Was für ein Verbrechen. Hoffentlich haben diese Zweibeiner nicht auch so etwas vor. Also hefte ich mich an ihre Schatten – verfolge den Berufsurlauber so findest du alle, das hatte ich seinerzeit schon in Galapagos gelernt. So folge ich Ihnen und beobachte das ganze aus der Luft.
Kaum haben die Zweibeiner das Revier der Riesenvögel verlassen, begeben sie sich ins beste und teuerste Nest der Stadt. Sie wohnen im Alvear Palace. Ein echter Nobelschuppen. Allerdings wundert mich das nicht. Denn der kleine, nicht mehr ganz so dicke Graue umgibt sich nur mit sehr vermögenden und gebildeten Zweibeinern, nur mit echten Genießern, weil er eben selber einer ist. Am Nachmittag sehe ich sie durch den Rosenpark schlendern und das Grab von Eva Peron besuchen. Alle sehen noch recht müde aus. Kein Wunder nach solch einer langen Reise. Da muss nun dringend Futter ran. „Heute gibt’s Beef, Argentinische Nationalspeise sozusagen, von jedem etwas und dazu leckeren Malbec ins Glas“ tönt der nicht mehr ganz so dicke, graue Kleine am Abend. Also Vegetarier sind das keine, kein Schnipsel Fleisch bleibt zurück. Der Berufsurlauber hat wieder ausschließlich Genießer dabei. Wie macht der das bloss?

Am nächsten Morgen, ach was mitten in der Nacht, sind die Zweibeiner schon wieder auf den Beinen. Übrigens haben Sie, so wie gestern schon, Elizabeth Kraenzlein, eine richtige Argentinierin, dabei. Eli, wie sie auch genannt wird, zeigt den Zweibeinern wo es in Argentinien lang geht und sorgt dafür, dass die Fremden sich auch wohl fühlen hier. Wieder streben sie in einen solchen Riesenvogel, weiter gen Süden schweben sie, einem Albatros gleich, davon. Als ich endlich selbst im fernen Ushuaia ankomme sitzen alle in einem großen Saal. Ab und an tritt mal einer vor die Tür. Die Anspannung ist selbst für mich als Albatros, zum Greifen. In diesem Saal sitzen noch viel mehr Zweibeiner – um sie herum kreisen ganz aufgeregt andere Zweibeiner in einem Uniform genannten Federkleid. „Hoffentlich negativ, hoffentlich dürfen wir mit“, so höre ich aus dem vielstimmigen Gemurmel. Was hat das nun zu bedeuten? Früher waren die Besucher sehr positiv und damit glücklich, heute muss man wohl negativ sein, um das Glück zu finden. So ändern sich die Zeiten, verstehe einer diese Zweibeiner. Ushuaia liegt auf Feuerland und gilt als südlichste Stadt der Welt. 1884 als Strafkolonie gegründet, hatte die Stadt eigentlich nur einen Zweck: da sein und die argentinische Flagge hochhalten gegen mögliche Expansionsgelüste der Chilenen. Die Stadt liegt am Beagle Kanal und ist das Tor zur Antarktis. Dieses Tor stoßen die Zweibeiner rund um den grauen, kleinen nicht mehr ganz so Dicken nun auf. Es geht an Bord. „Alle hier im Saal sind negativ“ hatte einer der uniformierten Zweibeiner vorher verkündet. HANSEATIC inspiration, so heißt der große Wal aus Eisen, der nun die Zweibeiner verschluckt. Expeditionsschiff, so nennt man diese Gattung. Gleichzeitig ein Gourmettempel, Quell unendlich vieler leckerer Genüsse in fester und flüssiger Form. Gleichzeitig auch eine Wissensvermittlungsanstalt. An Bord wimmelt es von fachkundigen Gelehrten. Ein Eismann und eine Pinguinfrau, Klimaforscher und ein Archäologe, alles naturverbundene Experten, die den anwesenden Zweibeinern antarktische Verhaltensregeln und biologisches Wissen beibringen wollen. Das beruhigt und freut mich natürlich ungemein.
Mittlerweile, der 5. Tag der Zweibeinerreise, sie schreiben den 10. Januar, wirft der Eisenwal die Bremsflossen raus. Ankern vor Yankee Harbour. Die Drake Passage haben alle mehr oder weniger gut überstanden. Antarktis der Kontinent ganz im Süden unserer Erde ist erreicht. Der Wind bläst nasse Schneeflocken durch die kalte Luft, obwohl ja Sommer ist. Das Meer wirft Schaumkronen auf. Auf einmal schweben von der Rückenflosse des Eisenwals kleine Gummifische herab. Diese Art nennen die Zweibeiner Zodiacs. Und schon sitzen die ersten von ihnen drin. Es schaukelt bedrohlich. Beim Anlanden werden sie alle pitschenass. Manche der Zweibeiner können es kaum fassen – vor Glück endlich die Antarktis zu betreten oder vor Kälte und Nässe? Ich vermag es nicht zu sagen. An Land wimmelt es von flugunfähigen Vögeln, Pinguine. Tausende davon, Eselspinguine und 2 einsame Zügelpinguine tummeln sich hier. Viele von ihnen haben Nachwuchs bekommen. Kleine, wuschlige Küken. Manche drängen sich zusammen und bilden einen Kindergarten. Andere kuscheln sich an Mama oder Papa Pinguins kalten Füße. Überall trompetet es. Kakophoner Gesang allerorten. Ganz anders die riesigen Seeelefanten. Träge liegen diese am Strand. Doch zu nahe darf man denen auch nicht kommen. In jedem Fall ein spannender und recht nasser erster Anlandungstag.
„Ich hatte das Gefühl, als wäre ich auf einen anderen Planeten oder in ein anderes Erdzeitalter geraten, von dem der Mensch kein Wissen, an das er keine Erinnerung hat.“ Diese weisen Worte stammen vom Polarforscher Admiral E. Byrd. Und genau das haben die Zweibeiner wohl heute gefühlt. Denn ich sehe ihren großen Eisenwal im Weddellmeer kreuzen. Zick – zack Kurs, um den Eisbergen auszuweichen. Und davon schwimmen hier alle Größen. Kleine ins bläuliche schimmernde, riesige Eisschollen und mächtige Tafeleisberge. Manche haben die Ausmaße einer mittleren Insel, nur viel höher. Dazu wirbeln Flocken durch die Luft und eine steife Brise weht – ans Anlanden ist für die Zweibeiner nicht zu denken. Expedition im Weddellmeer, ich beobachte sie den ganzen Tag und kann ganz nebenbei so manchen Tintenfisch verspeisen.
Verspeisen ist ein gutes Stichwort, ich als Albatros verschlinge ja schon so allerlei, doch was diese Zweibeiner zu futtern im Stande sind, hätte ich nicht erwartet. Früh geht das schon los. Eier gekocht und gerührt, gebraten und pochiert. Dazu Käse und Schinken, Fisch und Süßes. Kaum sind sie damit fertig, wird ein Süppchen geschlürft und anschließend das Mittagsbuffet geplündert. Zu Kaffee und Kuchen, aber bitte mit Sahne, wird am Nachmittag geladen. Und abends – 6 Gänge im Restaurant, soviel ist mal klar. Dazu feine Tropfen im Glas und ein Destillat hintendrein – alles Genießer, ich erwähnte das ja schon.
Am 7. Tag ihrer Reise werden wieder Gummifische klargemacht. Ausbooten und Landgang. Besser gesagt Inselentdeckung auf Paulet Island. „Immer der Nase nach. Hier hören, sehen und riechen wir die wohl größte Pinguinkolonie der Welt. Mehr als 150.000 Brutpaare sorgen sich hier um den Nachwuchs der Adeliepinguine. Erfolgreich so scheint es. Wohin das Auge blickt – Pinguinmamas, Pinguinpapas und Pinguinküken. Und noch etwas konnte ich aus der Luft beobachten – auch Zweibeiner gehen ins kalte Wasser baden. Manchmal freiwillig und manchmal unfreiwillig. In jedem Fall sehr zur Freude aller Anderen im Gummifisch. Schrecken und Spaß liegen da nah beieinander. Nun gut die beiden Unglückskinder haben das Bad wohl recht unbeschadet überlebt.
„Erstmals betreten Sie heute Antarktisches Festland“ tönt der Aufpasser aller Zweibeiner an Bord über seine Schreianlage. Wieder per Gummiboot, das hatte ich geahnt. Brown Bluff, das braune Kliff, ein erloschener Tafelvulkan, so das Ziel der Entdecker. Auch hier spielen die Tiere die erste Geige. Pinguine und Möwen, Seeschwalben und Weddellrobben am Strand.

Über Nacht zum 13. Januar nimmt der Eisenwal Kurs auf die Südshettland Inseln. Barrientos Island wollen die Zweibeiner entdecken. Wieder so eine Pinguinmegastadt. Diesmal kommt zum vielen blau und weiß des ewigen Eises auch ein zartes Grün ins Bild und ergänzt die Farbpalette. Algen und Moose wachsen hier. Die Zweibeiner müssen vorsichtig gehen. Darauf achten, nicht die sensible Vegetation zu beschädigen. Stundenlang beobachten sie das Treiben der Vögel. Geschäftig watscheln die Vögel im Frack über die Pinguinautobahnen. Ein Kommen und Gehen, ins Wasser springen und wieder herauseilen. Dann gesellen sich Riesensturmvögel dazu, sie haben es wie die kräftigen Raubmöwen auch, auf die Küken abgesehen. Doch die Pinguineltern verteidigen ihren Nachwuchs. Diesmal jedenfalls müssen Raubmöwen und Sturmvögel hungrig von dannen fliegen. Ich ziehe meine Kreise über der Insel völlig unbemerkt. Hunger habe ich keinen, längst hatte ich mir, den Zweibeinern gleich, den Bauch vollgeschlagen.
„Durch dieses Nadelöhr muss unser Schiff navigieren. Neptuns Blasebalg heißt die Einfahrt in den Krater. Deception Island ist erreicht. Vor Whalers Bay wird geankert“ so die Nachricht von der Riesenwalbrücke. Hier in dieser Bucht haben die Zweibeiner noch vor Jahrzehnten den echten Walen großes Leid zugefügt. Zu Tausenden wurden die sanften Riesen abgeschlachtet, noch meine Großeltern konnten davon berichten. Das Meer und das Eis färbten sich blutrot vom Lebenssaft der Wale. Fast wäre es um alle diese einzigartigen Geschöpfe geschehen gewesen, ausgerottet durch des Zweibeiners Hand. Es ist einigen weitsichtigen Menschen zu verdanken, dass es nicht so weit kam und die Zweibeiner heute die Wale nur noch mit der Kamera verfolgen, statt mit Harpunen und Walfängerbooten. Also auch Zweibeiner sind durchaus in der Lage zu lernen, entwickeln sich weiter, so wie alle Tiere auf dieser Erde. Hoffentlich schnell genug, um unseren gemeinsamen Planeten zu erhalten. Für alle Tiere, egal ob mit Flossen, Flügeln, vier oder zwei Beinen. Hier in der Whalers Bay schauen sich die Zweibeiner alles genau an, die Ruinen und stummen Zeugen des Walfangs im südlichen Meer.

Am 14. Januar, mittlerweile sind die Zweibeiner schon den 9. Tag in südlichen Gefilden unterwegs, passiert der Eisenwal eine Traumlandschaft, ein Winterwunderland, unwirklich und faszinierend zugleich. Wolkenspiele am Himmel. Sonnenstrahlen bringen dieses Wunderland zum Glitzern. Es funkelt und glüht, blendet und sprüht – es verzaubert die Zweibeiner. Auch ich als Albatros bin hin und weg – fast wäre ich gegen einen Felsen geflogen, so bin ich verzückt. Rings um die Wilhelmina Bucht, so heißt diese Gegend, wachsen hohe Berge in den Himmel. Dick mit Eis bepanzert – gleißendes Sonnenlicht blendet die Augen. Die Zweibeiner kommen sich vor wie auf einem fremden Planeten. Auch der Kapitän des Eisenwals scheint geblendet – sieht er denn nicht, dass die Bucht hier zu Ende ist? Statt zu bremsen, gibt er Gas und fährt mitten auf das Meereis drauf. Bis fast zum Heck steckt der Eisenwal nun im Eis. Doch statt jammern und klagen, jubeln und freuen sich die Zweibeiner. Sie springen aufs Eis, werfen sich in den nassen Schnee und zücken ihre Bildmaschinen. Damit halten sie ihre Erinnerungen fest und frieren Bilder ein. Sogar mit Ton. Und zu guter Letzt schlürfen die Reisezweibeiner prickelndes Wasser, auch Champagner genannt und kosten von den kleinen salzigen Fischeiern, ein wohl besonderer Genuss. Das Eisschollenfest ist das ungewöhnlichste was ich hier in der Antarktis je sah.
Noch voller Glückshormone reist der Riesenwal weiter. Die Melchior Inseln sind das neue Ziel. Und wieder solch eine einzigartige Szenerie. Das Weiß und Blau der Gletscherkappen kontrastiert mit dem schwarzen Lavafels. Pinguine nutzen die Inselchen für eine willkommene Rast, in den Buchten lassen sich Robben neues Fell wachsen. Mit den Gummifischen schwärmen die Zweibeiner aus. Und wieder überwältigt sie eine nahezu unberührte Natur.

„Bitte gehen Sie nicht in den Pinguinpfad, sie haben unseren alten Weg okkupiert. Also nicht in die Pinguinautobahnen treten. Vorsicht – ich hab´s Ihnen doch erklärt. Passen Sie auf!“ Expeditionsleiter Dietmar Neitzke hat seine Augen überall. Ja, ja – die Zweibeiner sind halt nur zu Gast hier in der Antarktis. Da ist es schon wichtig und richtig, dass Pinguine die Vorfahrt genießen. Ein besonders eindrucksvolles Pinguinautobahnnetz sehen die Besucher heute auf Cuverville Island. Hier bedeckt noch eine dicke Schnee- und Eiskappe den Fels. Und mitten durch? Führen tief in den Schnee getrampelt, die Wege der Pinguine. Putzig anzusehen, wie die Frackträger auf Ihren Autobahnen über die Insel watscheln. Rings um die Inseln glitzern wieder weißblaue Gletscher in der Sonne. Gleißendes Weiß hebt sich ab vom Blau des Himmels und dem schwarzbraunen Fels. Erneut breiten sich Glückshormone unter den Zweibeinern aus. Und auch ich als Albatros bin wieder tief berührt von der Schönheit meiner Heimat.
Der Eisenriesenwal nimmt nun Kurs auf die Paradiesbucht – Paradise Bay genannt. Doch auf den Weg versperren Eisberge und schroffe Felsen fast die Durchfahrt zwischen Festland und Insel. Eng geht’s zu – doch der Walsteurer ist ein Meister seines Fachs. Wieder sind es Bilder unglaublicher Schönheit, die den Zweibeinern manches Glückstränchen abringen.
Paradise Bay ist erreicht. Spiegelglatt schimmert das Antarktische Meer. Wieder sind sie mit Gummibooten unterwegs. Staunen über einen Wal direkt neben dem Boot und entdecken Robben auf einem Felsvorsprung. Immer wieder sind sie von den blauen Eisbergen verzaubert. Tausendfach werden die Erinnerungen auf der Bildmaschine eingefroren. Auch dieser Tag wird wohl ewig in Erinnerung bleiben. Mystische Momente in einer einsamen und unberührten Welt.
„Es ist 7.15 Uhr – wir nähern uns Neko Harbour bei bestem Wetter. Die Berge und Gletscher spiegeln sich im Wasser wie in einem Ententeich. So haben Sie die Landschaft gleich 2-mal. Kommen Sie auf die Außendecks. Der beste Platz ist auf dem inspiration Walk.“ – so weckt Uwe Mannweiler die Zweibeiner am Sonntagmorgen. Er nennt sich übrigens Expedition Manager und ist damit der wichtigste Mann auf dem Eisenfisch, nach dem Kapitän und dem Koch natürlich. Im früheren Leben war der Expeditionschef übrigens Polizist. Manchmal merkt man das wohl auch. Daher nennt der graue, kleine nicht mehr ganz so Dicke ihn auch Maskenpolizist.
Auch heute, es ist der 16. Januar und damit bereits Tag 11 der Zweibeinerreise, verlassen sie den großen Eisenwal mit kleinen Gummifischen. Wieder betreten die Reisenden Antarktisches Festland. Zum letzten Mal auf Ihrer Reise. An den Ufern der Bucht türmen sich die Berge Hochhaushoch. Mächtige Eispanzer bedecken die schroffen Felsen. Die spaltigen Gletscher glitzern weiß und blau im gleißenden Sonnenlicht. Über der Szenerie wölbt sich ein wunderbar blauer Himmel. Einzelne Wolkenspiele vervollständigen das Bild. Manche der blaubejackten Riesenpinguine (sie sehen manchmal aus wie die wirklichen Pinguine) klettern hinauf bis zu einem Felsvorsprung. Von dort bietet sich Ihnen ein traumhaftes Panorama. Was für großartige Momente an diesem Sonntagvormittag.
Die Sonne erwärmt auch mein Gefieder. Ich kann heute die Zweibeiner, die mir schon richtig ans Herz gewachsen sind, sogar beim Futtern sehen. Sie sitzen in der Sonne und genießen Ihr sonntägliches Tagesfutter. Das wird mit feinem Rebensaft runtergespült. Ganz nebenbei treiben Eisberge vorbei. Ab und an zeigt ein echter Wal seine Finne oder sogar beim Abtauchen die Fluke. Auf den Eisschollen sitzen Pinguine und flüchten ins offene Wasser, meist schon wenn sie den Rieseneisenwal kommen sehen. Auf größerem Treibeis liegen Roben und sonnen sich.
Am Nachmittag werden wieder die Gummifische zu Wasser gelassen. Mittlerweile steigen die freundlichen Zweibeiner mit kühnen Schwung hinein, gelernt ist eben gelernt. In der Dorian Bay landen sie an. Ebenso behände wie schon beim Einsteigen springen sie heraus. Sie stapfen durch den Schnee bis hinauf auf den kleinen Aussichtshügel. Vorbei an den alten Forscherhütten. Kaum zu glauben, dass auf dem Gletscher dahinter einst sogar britische Flugzeuge landeten. Doch das ist alles Geschichte. Die Besucher interessieren sich vielmehr wieder für meine flugunfähigen Cousinen. Kleinere Kolonien Eselspinguine bevölkern jede schneefreie Kuppe. Lange, steile Marschwege zwischen Meer und Nest nehmen sie in Kauf. Ein dichtes Netz Pinguinautobahnen durchzieht die schneebedeckte Hügellandschaft. Manchmal schauen nur noch die kleinen Köpfe über die Schneekante beim Pinguinmarsch. Es ist wirklich putzig anzusehen.

Am abendlichen PREcap, so heißt die Einweisungsstunde an Bord, wird das Exkursionsprogramm des Folgetages vorgestellt. Oft ergänzt um lehrreiche Vorträge über uns Tiere. „Wie war der Tag?“ fragt Dietmar Expeditionsmeister in die Runde. Beifall beantwortet die Frage nach seinen Wünschen. „Für Morgen haben wir noch 3 Pfeile im Köcher. Der Lemaire Kanal mit „Una´s Tits“ am Eingang und dem steinernen Adler, den drei Doppelgipfeln etwas südlich, gehört wohl zu den schönsten und spannendsten Passagen im südlichen Ozean. Kommen sie also um 7 Uhr raus an Deck.“ Macht er Luft auf den Montagmorgen. „Je nach Eisgang, Wind und Wellen wollen wir noch zweimal auf Anlandung gehen. Pléneau Island und die Petermann Insel sollen unsere Ziele sein.“ Erklärt er weiter.
Am nächsten Morgen, es ist Montag der 17. Januar, stehen unzählige Zweibeiner schon auf dem Eisenwal draußen. manche ganz oben oder auf seitlichen Flossen, Balkone genannt, andere vorn auf dem Walkopf, inspiration Walk steht da angeschrieben. Sie werden belohnt für das frühe Aufstehen. Ein stahlblauer Himmel wölbt sich über die dick vergletscherten Berggipfel. Die enge Fahrrinne des Kanals ist kaum zu erkennen, so dicht mit weißen und blauem Eis bedeckt.
„Hier spricht nochmal der Eismann. Sie sehen wunderbare Eisberge, die blau im Sonnenlicht schimmern. Das ist das Eis der Gletscher. Gefrorenes und in Jahrhunderten mit hohem Druck verdichtetes gefrorenes Süßwasser. Die treibenden Eisschollen wiederum sind gefrorenes Meerwasser des letzten Winters, meist bis zu einem Meter dick. Sie können sich aber auch übereinander schieben und zu mächtigen Schollen und Packeis anwachsen. Das rötliche und bräunliche was sie am aufgebrochenen Eis erkennen können, das sind Meeralgen, das Hauptfutter der riesigen Krillschwärme, die diese Algen an der Unterseite des Eises abweiden.“ Hans Oerter nennt sich der Eismann und hat echt Ahnung vom Eis. Kein Wunder – in seinem früheren Leben begleitete er viele Expeditionen hierher in die Antarktis und hat die Gletscher der Alpen erforscht.

„In der Mitte des Kanals haben sich turmhohe Eisberge hineingeschoben. Ringsherum alles dicht mit Packeis bedeckt. Es wird spannend, ob unser Schiff sich den Weg hindurch bahnen kann.“ Informiert Kapitän Ulf Wolter die staunenden Zweibeiner auf Deck. Doch der erfahrene Kapitän zeigt heute sein ganzes Können. Er umrundet die dicken Brocken und bricht die Schollen entzwei.

„Wir haben es 9.30 Uhr und wir haben mit 65° und 09 Minuten den südlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Wir drehen die Hanseatic inspiration und wenn sie steuerbord herausschauen dann sehen sie Petermann Island das ist für uns nicht zu erreichen. Von Süden drückt viel Eis hier Richtung Norden in die Pinola Straße.“ Kommentiert der Kapitän sein Manöver. Tja an Gummifische runterlassen ist nicht zu denken. Durch diese Masse an Eis ist kein Durchkommen und Anlanden wäre überhaupt nicht möglich. Und so folgt Eiskreuzfahrt Teil 2 durch den Lemaire Kanal. Diesmal von Süd nach Nord.
Langsam nehmen die Gäste Abschied von der Wunderwelt der Antarktis. Ich sehe manches Tränchen kullern. Tja und auch der Himmel trübt sich ein und beginnt zu weinen. Ich werde nun auch gen Südargentinien segeln, weiter den Eisenfisch im Auge behalten. Denn auch wenn sie die Antarktis nun offiziell hinter sich lassen, am 18. Januar gegen 11 Uhr ist es soweit – der 60. Breitengrad wird gen Norden überquert, liegen doch noch spannende Tage in Argentinien vor den freundlichen Gästen.
An Bord des Eisenwals, so kann ich von oben erkennen, geht alles seinen nun schon gewohnten Gang. Essen, ruhen, Essen und Trinken, ruhen, Essen und Trinken und nochmals Trinken. Gemeinsam sehe ich die Zweibeiner nochmals im großen Hanseatic Restaurant schlemmen. Kaviar und Krustentiere, Bestes vom Kalb und feinen Käse. Dazu vom Poltz den schönsten Grauburgunder und süffigen Gewürztraminer aus dem Elsaß. Aus der Rioja kommt kräftiger Rotwein ins Glas. Und zum Finale nochmal Champagner bei der Flaggenversteigerung. Nur der Maskenpolizist versucht den Zweibeinern wieder einmal die Laune zu verderben. Wie wir jedoch den Schampus und die Knappernüsse durch die Masken filtern können, kann auch er den Gästen nicht erklären.
Also Langeweile kommt nicht auf. Zwischendurch wieder interessante Vorträge, um die Welt zu verstehen. Dr. König-Langlo erzählt von seiner Überwinterung auf der Neumayer Station in der Antarktis, Stephen Bohlig berichtet über die legendären Chile – Salpeterfahrten und Sylvia Stevens über ihre Lieblingstiere.
Dann endlich, auch für mich den Albatros ist es eine lange Reise Land in Sicht. „Vor uns Kap Hoorn“ ruft der Eisenwalkapitän ins die Flüstertüte. Das Kap der Stürme, eigentlich. Doch für die lieben Heimkehrer weht tatsächlich nur ein laues Lüftchen. Dann der Beagle Kanal – Ushuaia zeigt sich im Sonnenschein. Abschiedsstunden im Nationalpark mit grünen und sommerlichen Bildern.
Nun freuen sich die Zweibeiner auf ihr Reisefinale – Buenos Aires Teil 2. Wieder steigen sie im besten Haus am Platz ab. Alvear Palace – das wusste ich schon vom Anfang ihrer Reise. Nun also nochmals zwei Nächte in diesem Nobelschuppen – immerhin Leading Hotels of the World. Und wieder steht Essen und Trinken ganz oben auf deren to do Liste. Große rosa Steaks und roter Malbec im Glas – als gelte es die Vorräte der hier lebenden Zweibeiner, Argentinier genannt, um jeden Preis zu reduzieren. Nun ja dafür hat ja der Anführer auch jede Menge Dollars, so heißen diese komischen bunt bedruckten Papierstückchen, hier gelassen, ganz zur Freude vieler Porteños – so heißen die Bewohner Hauptstadt hier.
Nochmals machen sie sich mit einem, diesmal etwas kleineren, Eisenfisch auf den Weg. Vom Hafen der Metropole den Rio de la Plata hinauf. Bis ins weitverzweigte Delta des Paraná Flusses hinein. Mehr als 5000 Inseln und rund 5000 Nebenflüsse und Kanäle bilden dieses weitverzweigte Fluss System. Eine einzigartiges Paradies für meine Cousins und Cousinen, die Vögel hier. Aber auch die Zweibeiner haben dies wohl erkannt. Stelzenhaus steht an Stelzenhaus – unzählige Wochenendnester an den Ufern der Wasserwege.

Feurig ist er und zugleich traurig, intim und doch ein Ausdruck von Einsamkeit: Der Tango gehört zu den faszinierendsten Tänzen der Welt. Klagende Klänge, feurige Blicke und stolze Posen – Tango ist emotional, leidenschaftlich, glamourös. Bis heute lassen sich Menschen in aller Welt mitreißen von Bandoneón, Klavier und Bass. Doch der Ursprung des Tangos liegt fern aller funkelnden Roben und polierten Lackschuhe: in den Hafen- und Armenvierteln, in den Freudenhäusern des Buenos Aires vor mehr als hundert Jahren. Heute machen sich die Zweibeiner nochmal auf den Tango zu erleben. Showtime im Showpalast der Tänze. Doch was sehe ich da, bevor die Künstler auf die Bühne kommen wird erstmal leidenschaftlich gefuttert. Reichlich und vom Feinsten, das muss ich sagen. Dann, die Uhr schlägt 10 Uhr abends, ist es soweit. Musiker und Tänzer kommen nach und nach auf die Bühne und bieten den Zweibeinern ein würdiges Abschiedsfest. Sogar des kleinen, grauen nicht mehr ganz so Dicken Begleiterin musste sich manches Tränchen verdrücken.
Der Rest ist schnell erzählt. Am Morgen des 22. Januar kann ich wieder alle beim Frühstück entdecken. Manche spazieren noch ein wenig durch die Stadt. Um 14 Uhr, Zweibeinerzeit starten sie wieder zum Platz der Rieseneisenvögel. Und dann sehe ich sie am Abend in den südamerikanischen Himmel steigen. Ich kann diesmal nicht mehr mit, das eindeutig nicht mein Jagdrevier. Ich breche wieder auf gen Süden und später nach Galapagos.

Vielleicht treffe ich ja meine Zweibeiner einmal dort wieder. Sie sind mir doch so ans Herz gewachsen.
Doch nun verabschieden sich von Ihnen, Orville der Albatros, ihr treuer Begleiter, sowie Kerstin und Thomas Schumann