Begegnungen in Madagaskar – der Berufsurlauber auf Organisationstour
ZWISCHEN URWALDER, REISTERRASSEN UND KOLONIALEN SPUREN

Madagaskar? Fragen Sie mal Jemanden auf der Straße in Thüringen danach. Die meisten werden an: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ erinnern, dem alten Seemannslied. Manche wissen immerhin noch, dass es ein Land in Afrika sein muss. Die wenigsten können erklären, wo genau Madagaskar liegt und was das Besondere an diesem Land ist. Nun als Berufsurlauber ist mir Madagaskar schon einigermaßen vertraut. Immerhin hatte ich das Land bereits zweimal während meiner mehr als 35-jährigen Touristikkarriere bereist. Das letzte Mal vor 10 Jahre. Da unsere Gäste, besonders die Afrika Fans, immer wieder nach einer Reise dorthin fragen (bei dieser Gruppe von Menschen scheint das Wissen, dann doch schon weit über das Seemannslied hinauszugehen), wird es also Zeit auch eine solche zu planen. Da Madagaskar ein recht unbekanntes Reiseziel ist, fangen wir einmal mit ein paar nackten Zahlen an. Das Land ist eine Insel, naja fast schon ein eigener Kontinent, zumindest wegen der Vielfalt der Flora und Fauna – dazu später mehr. Immerhin die viertgrößte Insel der Welt. Die Gesamtfläche Deutschlands würde fast zweimal auf die Fläche Madagaskars passen. Also riesengroß. Dabei leben hier nur etwa 32 Millionen Menschen. Damit ist die Insel extrem dünn besiedelt. Das liegt zum einen an der rudimentären Erschließung mit Straßen oder Eisenbahnstrecken und zum anderen an der Topografie. Während an der Ostküste tropisches Sumpfland und Urwälder (ja es gibt sie noch, auch wenn ein Großteil längst gerodet wurde) das Landschaftsbild prägen, bestimmen im Süden Trockenwälder und Halbwüsten die Szenerie. Das zentrale Hochland liegt meist auf Höhen zwischen 1.000 und 1.600m – hier ist es angenehm kühl und trocken während die Küstenregionen oft heiß und feucht sind. Ich erwähnte ja bereits – Madagaskar ist wie ein eigener, kleiner Kontinent. Und entstand auch als ein solcher. Vor rund 150 Millionen Jahren „bricht“ die indische Platte der Afrikanischen ab und driftet weg. Nochmal rund 50 Millionen Jahre später brechen der indische Subkontinent und eben Madagaskar auseinander. Fortan gehört Indien zu Asien und Madagaskar geografisch zu Ostafrika, obwohl dessen Küste mehrere Hundert Kilometer entfernt liegt. Die Straße von Madagaskar liegt nun dazwischen. Die Besiedlung des „Minikontinents“ beginnt aus Richtung Südostasien und im geringeren Maße auch vom afrikanischen Kontinent vor etwa 1.500 Jahren. Es entwickeln sich Kulturen, die der Indonesischen und auch der Afrikanischen ähnlich sind. Flora und Fauna hingegen gehen meist ganz eigene Wege im Zuge der Evolution. Die Artenvielfalt Madagaskars ist immens, ja fast unermesslich. Noch immer werden neue entdeckt. Und ein großer Teil gilt als endemisch, kommt also nur auf Madagaskar vor. Nirgend gibt es beispielsweise eine solche Fülle von Orchideen – mehr als 1.000 Arten sollen es sein. Baobabs kennt man auch vom afrikanischen Festland, doch auf Madagaskar gibt es anstatt einer Art gleich sieben. Lemuren – das sind die heimlichen Stars der Insel – auch diese Vertreter der Halbaffen gibt es nur in Madagaskar. Lemuren sind auch mit mehreren Arten vertreten. Von Mini bis Gross. Sie bevölkern die Urwälder des Landes. Dazu gesellen sich Vogelarten, die es nur hier gibt, Chamäleons und jede Menge seltsam ausschauende Amphibien. Madagaskar muss also dringend wieder in den Schumann Reiseplan. Also mach ich mich auf, die nächste Reise vorzubereiten.
Am Mittwoch vor dem Pfingstfest geht´s los. Ethiopian Airways bringt mich zunächst nach Addis Abeba und nach kurzem Aufenthalt weiter nach Antananarivo. Tana, wie die Hauptstadt Madagaskars meist genannt wird, liegt im zentralen Hochland. Die Einreise ist unproblematisch. Für 10 € bekomme ich mein Visum, muss noch bei drei weiteren Schaltern Stempel holen und schon bin ich da. Ein freundlicher Mann empfängt mich am Ausgang des kleinen Flughafens. Er wird mein Fahrer sein für die nächsten Tage. Denn die Autovermietungen Madagaskars, in meinem Falle Hertz, vermietet Autos nur mit Fahrer. Weshalb frage ich mich? Die Antwort kommt rasch: Straßen mit Fahrzeug tiefen Schlaglöchern, teilweise chaotischer Verkehr und Regeln, die Auslegungssache sind. Auch gut, kann ich mehr sehen, nachdenken, aufschreiben – kurzum meiner eigentlichen Arbeit auf dieser Reise nachgehen. Adrian, so heißt mein Fahrer, spricht perfekt malagasy und französisch und kaum englisch, ich perfekt deutsch und englisch und kaum französisch. Und malagasy kaum in Wort. Nun, verständigen können wir uns trotzdem recht gut.
Am Nachmittag sind alle Formalitäten bei Hertz erledigt und wir brechen gen Osten auf. Mittlerweile schreiben wir den 5. Juni. Wir wollen heute noch in den Andasibe Nationalpark. Vor uns liegen rund 150 km. Die Nationalstraße 2 führt direkt dorthin. Also 2 Stunden Fahrt? Da habe ich die Verkehrsverhältnisse echt unterschätzt. Zwar ist die N2 mittlerweile nahezu vollständig asphaltiert, doch eben nur nahezu. Zwischendurch tun sich wahre Abgründe auf. Mittlerweile bricht die Nacht über Madagaskar ein – nach gut 5 Stunden Fahrt kommen wir an. Die ziemlich neue Manjarano Lodge am Rand des Nationalparks ist unser Ziel. Und jetzt bin ich total überrascht. Eine solch großartige Lodge habe ich in diesem Land noch nie gesehen und auch niemals vermutet. Automatisch denke ich an die fantastischen Privatlodges in Südafrika, da würde ich die Manjarano am ehesten hin verorten. Total stylisch, authentisch und komfortabel – vom Feinsten. Eine ehemalige Grafitmine hat das notwendige Kapital gebracht. Nun soll der Tourismus für Wohlstand sorgen. Meine leichte Reisemüdigkeit ist sofort verschwunden. Ich lese die Speisekarte für das Abendessen. Bin ich in Paris oder im tiefsten Madagaskar? Fois Gras als Vorspeise oder doch lieber Garnelen Tartar? Mango – Avocato Carpaccio oder Ziegenkäse in Honig als Vorspeise? Das Beste von der Ente oder Filet vom Cebu Rund, Wolfsbarsch oder gegrillte Auberginen? Was nehme ich nur, schmeckt das hier oder hat der Chef in der Küche sich selbst überschätzt? Nun ich bin gespannt. Und wieder überrascht. Ein Menü mehrerer Michelin Sterne würdig. Madagaskar – nun auch eine Kulinarische Reise? Vielleicht das einzig gute, was aus der französischen Kolonialzeit bleibt. Großartiges „Futter“ für die Besucher. Und obendrein gibt es einen nächtlichen Sternenhimmel, der mich aus den Socken haut. Ist ja auch Schlafenszeit…
Der nächste Morgen, mich hält es nicht mehr im überaus komfortablen Bett meiner kleinen Villa. Ich muss schauen, ob ich die Stars der Wälder zu Gesicht bekomme. Viel Zeit bleibt mir nicht – bald holt mich mein Fahrer wieder ab. Lemur Island – ein wunderbares Projekt der Regierung gemeinsam mit den Besitzern meiner Lodge (jetzt nenne ich sie schon meine Lodge…). Auf fünf Inseln leben Lemuren, die teilweise vorher als Haustiere gehalten wurde oder gegessen (ja auch das gibt es hier – auch wenn es natürlich verboten ist) werden sollten. Sie leben völlig frei. Die Nachkommen werden dann in den Nationalpark ausgewildert. Das schau ich mir an. Mit einer Kanufähre setze ich über die Lemuren Insel. Der Ranger erklärt mir allerlei über die einzigartigen Tiere. Schon nach wenigen Pfiffen des Rangers zeigen sich die ersten, es sind braune Lemuren. „Sobald Sie einem dieser Wesen in die riesigen Augen schauen, sind Sie diesen Tieren verfallen.“ Ohja, das stimmt wirklich. Fotos über Fotos, die ich schieße, Filmchen über Filmchen. Ein fantastischer Morgen. Bei Weitem übertreffen diese Momente meinen Erwartungen. Ich möchte hierbleiben und nur noch Lemuren zählen…
…das geht natürlich nicht. Mein Fahrer wartet schon. Wir haben mehr als 300 km vor uns. Und ich habe gelernt, dass das schnell 10 Stunden Fahrt bedeuten kann. Nun ganz so lange dauert es diesmal nicht. Gegen 19 Uhr, nach weniger als 9 Stunden Fahrt, treffen wir in Antsirabe. Von diesem kleinen Städtchen sehen wir heute nichts mehr. Es ist längst wieder Nacht geworden. Diesmal nächtigen wir in der Eco Lodge. Klar – solch eine fantastische Lodge wie die „Manjarano“ kann ich nun wirklich nicht erwarten. Doch auch hier überzeugen die kleinen Bungalows. Alles ist peinlich sauber, die Betten komfortabel und eine Dusche gibt es auch in jedem Zimmer. Weitaus besser als in manch westlichen Reiseland. Zu Abend speisen wir heute in einer angesagten Kneipe. Ich muss einfach sehen, wie es in einfacheren Wirtshäusern um die Kulinarik bestellt ist. Und auch hier im Valahara Café wird mein manchmal etwas verwöhnter Gaumen absolut positiv überrascht. Prima Essen auch in Antsirabe.
Am Morgen nehme ich mir etwas Zeit für den kleinen Ort. Koloniale Gebäude zeugen von der früheren Bedeutung des Ortes. Antsirabe ist ein wichtiger Ort zwischen dem Norden und dem Süden der Insel. Früher auch ein Eisenbahnhalt. Leider gehören diese Zeiten der Vergangenheit an. Dennoch, das Thema Eisenbahn auf Madagaskar verfolge ich weiter, Sie werden schon sehen oder lesen. Vor uns liegt nun wieder ein halber Tag Fahrt. Reisterrassen, wohin man schaut, tja aus Südostasien kamen die meisten Erstbesiedler der Insel. Die kleinen Dörfer wirken aufgeräumt und sauber, gar nicht so arm, wie ich es mir vorgestellt hatte. Schließlich gehört Madagaskar zu den ärmsten Ländern der Erde. Bruttosozialprodukt ist sicher wichtig aber bei weitem nicht alles. Das haben mir meine vielen, vielen Reisen gelehrt. Während Deutschland in den Top 10 der Welt rangiert, wenn es um Erfüllung der Grundbedürfnisse geht, liegt Madagaskar auf Platz 165. Bei Gesundheit und Meinungsfreiheit ist der Unterscheid noch viel größer. Auf der anderen Seite sind mir hier auf Madagaskar weitaus weniger meckernde und unzufriedene Menschen begegnet als im deutschen Alltag. Die Menschen scheinen oft zufriedener und glücklicher ohne fatalistisch oder verzweifelt zu wirken. Verkehrte Welt, denke ich mir. Diese persönliche Einschätzung soll keineswegs über die immensen fast unlösbaren sozialen Probleme Madagaskars hinwegtäuschen. Es ist einfach nur eine Wahrnehmung, eine die mir bei so vielen Reisen in den Sinn kommt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Unser heutiges Etappenziel erreichen wir gegen 15 Uhr. Der Ranomafana gehört zu den letzten primären Bergregenwäldern der Insel. Ein Rückzugsgebiet für die erwähnte artenreiche Flora und Fauna. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde hier eine bislang unbekannte Art der Lemuren entdeckt. Fast wöchentlich werden neue Pflanzen- oder Insektenarten beschrieben. Längst noch nicht kennen wir Menschen das tatsächlich Ausmaß der Arten Madagaskars. Leider verschwinden auch altbekannte Arten in zunehmender Rasanz. Folgen der Abholzung (die glücklicherweise mittlerweile streng verboten ist) und des menschgemachten Klimawandels. Ein wenig Zeit bleibt mir, den Urwald zu erkunden. Und schon entdecke ich die „Stars des Waldes“ in den Bäumen. Wobei zuerst hört man die Lemuren. Sie kommunizieren eifrig -mit oder über uns bleibt deren Geheimnis. Als Vertreter der Primaten stehen die Halbaffen uns in der Folge der Evolution ziemlich nahe. Leider muss ich weiter, kann meinen Waldspaziergang nicht ausdehnen. Den Schumann Gästen wird später viel Zeit bleiben, den Geheimnissen des Ranomafana auf die Spur zu kommen. Neben der unbeschreiblichen Naturerlebnissen stehen bei mir nun mal auch mehrere Besuche von Hotels und Lodges auf dem Programm. Denn für unsere Gäste sollen später die Unterkünfte und die kulinarischen Erlebnisse die Momente und Begegnungen mit Mensch und Natur ergänzen. Und zwar positiv ergänzen. Allein am Ranomafan besuche ich vier verschiedene Lodges. Ein Favorit kristallisiert sich heraus, eine weitere Lodge kann ich als Schumann Reisen würdig einstufen und zwei fallen durch. So ist es meistens. Dies macht die aufwändige Recherche – und Organisationstouren so unentbehrlich. Nur vor Ort, nur im Gespräch mit den Menschen dort ist eine wirkliche Einschätzung und später eine daraus resultierende vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich.
Spät am Abend erreich wir unser endgültiges Ziel des Tages, das Lac Hotel in Sahambavy. Maggy und ihr Mann setzen hier das Lebenswerk ihrer Eltern fort. Das Anwesen, das einem botanischen Garten ähnelt, liegt unmittelbar an der einst wichtigen Bahnlinien von Fianarantso nach Manakara an der Ostküste. Für viel Dörfer ist dies die einzig mögliche Verbindung, der einzige Versorgungsstrang. „Die letzte reguläre Bahn fuhr im letzten Jahr“ erklärt mir Toky. Er ist die rechte Hand von Maggy und managt das Hotel. Darüber hinaus finden hier gut 25 Menschen aus dem Dorf ihre Arbeit und verdienen ihr täglich Brot. Auch dafür kann Tourismus sorgen. „Ich bin doch extra wegen der spektakulären Bahn hierhergekommen“ entgegne ich Toky verzweifelt. „Es gibt Möglichkeiten und Maggy kann das arrangieren mit der Bahngesellschaft. Privattouren für Eure Gäste mit dem Schienenbus. Den kann man eventuell privat für die Schumann Gäste chartern“. Und schon hellt sich meine Stimmung wieder auf. Das kann die Lösung sein. Wohlwissentlich, dass dies keine Garantie ist. Viel zu viele Unwägbarkeiten am Gleis und am rollenden Material. Doch für mich steht fest, wir wollen es versuchen.
Auch ohne Bahn ist der Besuch hier eine wunderbare Ergänzung. Authentisches Dorfleben, großartige Landschaft und nette Menschen. Lac Hotel gehört ins Schumann Programm.
Am nächsten Tag, mittlerweile haben wir Pfingstsonntag, fahren wir zurück in die Hauptstadt. Mehr als 400 km über Land. Spannend und überraschend. Wieder begleiten uns Reisfelder. Die Landschaft ist stark terrassiert. Allgegenwärtig sind die Cebu Rinder, Ausdruck von Wohlstand für deren Besitzer. Die Häuser, fast alle zweistöckig, fügen sich wie von Meisterhand gemalt in die Landschaft ein. Doch vor allem bleiben die Begegnungen mit den Menschen im Gedächtnis. Kinder, die mit ihren lenkbaren Holzlastenkarren waghalsig die Straßen runterbrettern zollen uns Respekt. Große Menschengruppen, festlich oft ganz in weiß gekleidet, sind auf dem Weg in die Kirche. Gern hätte ich etwas Zeit mit den Menschen in den Dörfern verbracht. Doch das hebe ich mir für meinen nächsten Besuch auf. Ebenso den Besuch der Westküste, die Allee der Baobabs und den Trockenwald. Und diesmal dauert es gewiss keine zehn Jahre bis ich wiederkomme. Nun der Rest meiner Reise ist schnell erzählt. Am Abend erreichen wir Antananarivo, die Hauptstadt also. Ich wohne die letzte Nacht im Land im La Varangue, einem kleinen, historischen Boutique Hotel mit hervorragender Küche. Nochmals so richtig Schlemmen. Und: für gut befunden – Schumann Gäste können kommen.
Nun sitze ich im Flieger von Airlink und bin auf dem Weg nach Johannesburg. Die nächsten drei Tage widme ich einer anderen Reise durch Afrika. Während ich diese Zeilen schreibe eilen meine Gedanken voraus. Ins Jahr 2026, denn dann komme ich wieder nach Madagaskar. Im September gemeinsam mit Schumann Gästen. Die Reise nimmt Gestalt an. In meinem Kopf ist sie längst fertig, nun übersetze ich die Madagaskar Tour bald aus meinen Gedanken in ganze Sätze. Es werden wohl knapp 2 Wochen werden. Wir besuchen die Lemuren und den Urwald, die beschriebene Bahnstrecke und die Küste im Westen. Wir werden Menschen verschiedener Volksgruppen begegnen, von unterschiedlichen Religionen und Bräuchen hören, vor riesigen Bäumen staunen und den Lemuren in die Augen schauen. Vor allem werden wir eines: überraschende Momente in Madagaskar erleben. Momente, die Sie ihr Leben lang bewahren werden. Wie einen wertvollen Schatz – den ein solcher ist diese Insel.
Auf zu neuen Ufern, auf zu neuen Abenteuern sagt Ihr Berufsurlauber.